Gesetzliche Zusatzbeiträge: Millionen Versicherte sollen hundert Euro Zusatzbeitrag zahlen

Veröffentlicht am 21.01.2010 in Bundespolitik

SPIEGEL ONLINE vom 21.01.2010

Gesetzliche Krankenkassen: Zusatzbeiträge auf breiter Front

Rund ein Dutzend Krankenkassen werden wohl schon bald Zusatzbeiträge erheben - in Höhe von fast hundert Euro pro Jahr, darunter auch die DAK. Mittelfristig droht allen gesetzlich Versicherten eine Erhöhung. Auch weil die Regierung lieber auf Klientel- als Sparpolitik setzt.

Von Sven Böll

Hamburg - Am Montag könnte es soweit sein. Rund ein Dutzend Krankenkassen dürfte sich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz outen: Ja, bei uns reicht das Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht mehr lange, um die Kosten für die Versicherten zu tragen. Deshalb werden wir bald einen Zusatzbeitrag erheben.

Das ist aus dem Umfeld der Beteiligten, darunter Ersatz- und Betriebskrankenkassen, zu hören - und auch, dass der Zusatzbeitrag bei acht Euro monatlich liegen dürfte. Auf jeden Beitragszahler kommt damit ein Ausgabenplus von rund hundert Euro pro Jahr zu.

Bisher verlangt nur eine kleine Versicherung, die Gemeinsame BKK Köln (GBK), den monatlichen Obolus von ihren Versicherten. In nicht allzu ferner Zukunft wird aber wohl auch die DAK dabei sein, mit mehr als sechs Millionen Versicherten eine der größten Kassen der Republik. Das bestätigte ein Sprecher SPIEGEL ONLINE.

Ein geringerer Betrag als acht Euro pro Monat ergibt für die Kassen keinen Sinn, weil sie schon zwei bis drei Euro pro Versichertem ausgeben müssen, um das Geld einzutreiben. Wollten sie allerdings mehr als acht Euro haben, müssten sie bei ihren Mitgliedern eine Einkommensprüfung vornehmen. Diese würde jedoch zu einem derartigen Bürokratiewahnsinn führen, dass selbst die in puncto Selbstverwaltung nicht unerfahrenen Kassen davor zurückschrecken.

Erhöhen andere große Krankenkassen in der zweiten Jahreshälfte?

Die wahrscheinliche Ankündigung der Krankenkassen am kommenden Montag dürfte zu einem Dammbruch bei den Zusatzbeiträgen führen. Der in der Branche übliche Fingerzeig auf andere, die angeblich schlechter wirtschaften, funktioniert dann nicht mehr. Auffällig ist nur, dass weder die Barmer GEK - seit Jahresbeginn die größte Krankenkasse der Republik - noch die Techniker Krankenkasse als Nummer zwei derzeit Zusatzbeiträge erheben wollen.

Darüber freuen können sich die fast 16 Millionen dort Versicherten allerdings kaum. Sprecher beider Unternehmen schlossen auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE zwar indirekt einen Zusatzbeitrag im ersten Halbjahr aus. "Was aber in der zweiten Jahreshälfte passiert, ist schwer vorherzusagen", hieß es bei der Barmer GEK. Und eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse sagte: "Wir sind zuversichtlich, 2010 noch ohne Zusatzbeitrag auszukommen."

Ob schon bald oder erst im kommenden Jahr - fest steht: Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es flächendeckende Zusatzbeiträge gibt. Dann wären mehr als 50 Millionen Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) betroffen - rund 20 Millionen Kinder und Familienangehörige sind in der GKV beitragsfrei mitversichert, fast neun Millionen Deutsche haben eine private Krankenversicherung.

Apotheker, Ärzte und Pharmaindustrie werden bedient

Wieso der Zusatzbeitrag nötig wird, ist einfach zu errechnen. Den gesetzlichen Kassen fehlen in diesem Jahr voraussichtlich fast acht Milliarden Euro. Die Hälfte davon will der Bund angesichts der Finanzkrise übernehmen. Bleibt eine Lücke von vier Milliarden. Diese dürfte selbst bei einer raschen Überwindung der widrigen wirtschaftlichen Verhältnisse im kommenden Jahr aber eher größer werden. Und siehe da: Zahlt jeder Beitragszahler Monat für Monat acht Euro Zusatzbeitrag, kommen pro Jahr rund 4,8 Milliarden Euro zusammen.

Dass es mittelfristig bei den acht Euro bleibt, ist unwahrscheinlich. Das liegt nicht nur daran, dass die Kosten im Gesundheitswesen allein aufgrund der fortschreitenden Forschung steigen; die medizinische Inflation liegt bei rund vier Prozent pro Jahr. Mindestens genauso wichtig für den bevorstehenden Kostenanstieg ist die Tatsache, dass die schwarz-gelbe Koalition bisher vor allem Reformen plant, die zu einem drastischen Ausgabenplus führen dürften.

So setzen Union und FDP im geradezu sozialistisch organisierten Medikamentenhandel auf mehr Regulierung statt Liberalisierung: Zugunsten der FDP-freundlichen Apotheker soll der Versandhandel über Drogerien und Supermärkte abgeschafft werden. Den Ärzten, überwiegend Anhänger der Liberalen, hat FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler höhere Honorare versprochen.

Außerdem sollen die Rabattverträge überprüft werden, die die Krankenkassen mit den Pharmaherstellern abgeschlossen haben und die zu Millioneneinsparungen führen. Der Pharmaindustrie kommt es zudem sehr gelegen, dass Peter Sawicki, oberster Medikamentenprüfer der Republik, vor der Ablösung steht. Ein industriefreundlicher Nachfolger, der bei Arzneien nicht so genau auf Kosten und Wirkung gucken würde, käme den Herstellern sehr gelegen.

Apotheker, Ärzte und Pharmaindustrie - an diese Gruppen hat die Koalition also bereits gedacht. Die Versicherten werden die schwarz-gelbe Politik dagegen wohl vor allem durch steigende Beiträge zu spüren bekommen.

Vielmehr liegt Kritikern zufolge der Verdacht nahe, dass der Bundesregierung die Einführung der Zusatzbeiträge und ihr rascher Anstieg nicht mal unrecht sind - handelt es sich doch um eine kleine Kopfpauschale. Und darauf will sie das System ohnehin umstellen.

 

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