Energiepolitik: Atomkraft macht Klimakiller billiger

Veröffentlicht am 18.10.2009 in Politik

SPIEGEL ONLINE, 18.10.09

Von Frank Dohmen und Christian Schwägerl

Atomkraft als Klimaschützer - mit dieser Botschaft wirbt die schwarz-gelbe Koalition für eine Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten. Doch das Umweltbundesamt kommt jetzt zu einem unerwartete Befund: Tatsächlich würden Kohlendioxid-Emissionen nicht sinken, sondern nur billiger.

Berlin - Es klingt wie Rückenwind für die Atomkraft-Pläne der schwarz-gelben Koalitionäre. "Würden alle Atomkraftwerke unbeschränkt weiterlaufen, hätte dies einen Emissionseffekt von insgesamt 441 Millionen Tonnen Kohlendioxid" allein für den Zeitraum 2013 bis 2020, heißt es in einem internen Vermerk des Umweltbundesamts. Atomstrom, der mit Uran als Brennstoff produziert wird, würde Strom aus Kohle und Erdgas verdrängen, bei dessen Erzeugung CO2 frei wird. 441 Millionen Tonnen sind eine erkleckliche Menge: Das wäre so, als würde ganz Deutschland ein halbes Jahr lang gar kein Kohlendioxid ausstoßen.

Sind die Dessauer UBA-Fachleute nun zu Atomkraftfreunden geworden? Selbst unter seinem früheren Präsidenten Andreas Troge, der CDU-Mitglied war, hatte das Amt mit Sitz in Dessau die Kernkraft stets als "nicht nachhaltig" gescholten. Darf die Koalition überraschend auf Zuspruch aus Öko-Kreisen hoffen?

Die Freude über den Satz dürfte bei den Energiestrategen von Union und FDP nicht lange währen. Denn die UBA-Fachleute kommen zu einer überraschenden Schlussfolgerung: Unter den heutigen Rahmenbedingungen wäre durch den schwarz-gelben Atomplan für den Klimaschutz "nichts gewonnen", eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke würde "wahrscheinlich sogar dem Klimaschutz schaden".

Was paradox erscheint, erklärt sich aus den Regeln, die für den CO2-Ausstoß der deutschen Kraftwerke insgesamt gelten. Ob mit oder ohne Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke steht nämlich die Gesamtmenge an Kohlendioxid, die aus deutschen Kraftwerken in die Atmosphäre gelangen darf, bis 2020 fest. Bereits 2008 einigten sich die EU-Staaten auf feste Budgets. Damals wurden Deutschland wegen des geplanten Atomausstiegs mehr Zertifikate für Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken zugeschlagen als ursprünglich geplant.

Das Endergebnis ist seither klar: Jährlich sinkt die verfügbare CO2-Menge um 1,74 Prozent. Ein Fünftel weniger Kohlendioxid aus Kraftwerken als 2005 darf es in elf Jahren nur noch sein (siehe Grafik). Und für jede Tonne Kohlendioxid, die den Kamin verlässt, müssen die Energieversorger künftig ein Zertifikat erwerben. Für die Scheine ist ein Börsenpreis zu zahlen, der nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage entsteht. Der Emissionshandel soll Manager belohnen, die in Klimaschutz und Energieeffizienz investieren: Sie brauchen weniger Zertifikate als energiehungrige Wettbewerber zu erwerben oder können überflüssige Zertifikate gewinnbringend verkaufen.

Der Preis für CO2-Zertifikate geht in den Keller

Da die Kohlendioxid-Menge aus deutschen Kraftwerken ohnehin gedeckelt ist und bis 2020 jährlich sinkt, sieht das Umweltbundesamt durch die Laufzeitverlängerung nur einen einzigen Effekt, wenn Atomstrom Kohlestrom verdrängt: "Die Kohlendioxidmenge, die Atomkraftwerke einsparen, würde anderswo ausgestoßen", warnt UBA-Präsident Jochen Flasbarth. Es entstehe ein Überangebot an Zertifikaten, die den Markt überschwemmen. "Der Zertifikatepreis im EU-Emissionshandel sinkt wegen geringerer Nachfrage", warnen die UBA-Fachleute. Die CO2-Emissionen würden dank mehr Atomkraft also nicht weniger, sondern nur billiger. Damit würden "europaweit die Anreize zur Emissionsminderung", etwa durch erneuerbare Energien oder Effizienz, "vermindert".

Zudem könnte der Bundesfinanzminister in die Röhre schauen: Denn milliardenschwere Einnahmen aus dem Emissionshandel sind schon vielfältig verbucht, für Klimaschutzprojekte und sogar für Steuersenkungen. Geht der Preis für Zertifikate in den Keller, schrumpfen die Einnahmen für den Staat drastisch.

Ähnliche Einwände wie gegen die Laufzeitverlängerung werden von anderer Seite auch gegen Erneuerbare Energien vorgebracht: Wenn zusätzlicher Ökostrom in Deutschland CO2 vermeide, stünden polnischen Kohlekraftwerken mehr Zertifikate zur Verfügung. Allerdings wurde der steigende Ökostromanteil in Deutschland schon berücksichtigt, als das Gesamtbudget für die EU entstand. Deutschland erhielt nach Auskunft des Leiters der Deutschen Emissionshandelsstelle, Hans-Jürgen Nantke, deswegen weniger CO2-Zertifikate als eigentlich angebracht.

Riskante Nebenwirkung der Laufzeitverlängerung

Aus Sicht von Unternehmen, die viele CO2-Zertifikate erwerben müssen, wäre ein Preiskollaps kurzfristig erfreulich. Der Energieriese RWE argumentiert denn auch, dass Kernkraftwerke den Klimaschutz billiger machten: "Eine Verlängerung der Laufzeiten würde zur Erreichung des gleichen Ziels führen, allerdings bei vertretbareren Kosten." Beistand bekommen die Kernkraftbetreiber sogar von dem prominenten Umweltökonomen Ottmar Edenhofer: "Das bisher vereinbarte CO2-Budget kann dadurch mit volkswirtschaftlich geringeren Kosten eingehalten werden", sagt er.

Das ignoriert aber, dass hohe CO2-Preise, die durch Verknappung entstehen, der entscheidende Anreiz sein können, in Klimaschutz zu investieren: "Erst das ermöglicht es, Investitionen zu tätigen, die sich erst in zehn Jahren oder später bei entsprechenden Knappheiten auszahlen", sagt die Bonner Ökonomin Karin Holm-Müller vom Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen.

Die riskante Nebenwirkung der Laufzeitverlängerung für den CO2-Preis haben die Koalitionäre von Union und FDP bei ihren Planungen kaum beachtet - oder als Chance gesehen, den Strompreis zu drücken. Dass die Laufzeitverlängerung dem Klimaschutz dienen soll, gehört aber zu den wichtigsten Argumenten, mit denen die künftige Bundesregierung den Bürgern das Projekt Laufzeitverlängerung schmackhaft machen will. Letztlich, argumentieren Union und FDP solle die Laufzeitverlängerung den Ausbau erneuerbarer Energien ermöglichen: Ein Teil der zusätzlichen Erträge aus Atomstrom solle in Projekte für Ökostrom und Effizienz fließen. Als "Cash-Cows für die Öko-Revolution", bezeichnet der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) die Meiler.

An den Erneuerbaren Energien hängen 280.000 Arbeitsplätze

Treffen die Warnungen des UBA zu, würde diese Begründung fraglich. Ohnehin warnen Kritiker, die Laufzeitverlängerung werde die Investitionen in erneuerbare Energien drosseln und so verhindern, dass etwa an der deutschen Nordseeküste Tausende neuer Arbeitsplätze in der Windkraftindustrie entstehen.

Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen weltweit beachteten Ausbau erneuerbarer Energien hingelegt und gilt Strategen in den USA und China als Vorbild. Da gibt es viel zu verlieren: 280.000 Arbeitsplätze sichert die Branche, noch sind deutsche Unternehmen Weltmarktführer, das Geschäft brummt vielerorts trotz Wirtschaftskrise.

Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), sieht nur einen Ausweg, will die neue Koalition mit ihrem Atomkurs wirklich Klimaschutz betreiben: "Bei einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland müssen die bisher vereinbarten CO2-Volumina neu verhandelt und deutlich nach unten korrigiert werden", sagt er, "sonst kommt es zu einer deutlichen Überausstattung." Die Bonner Ökonomin Karin Holm stimmt zu: "Nur wenn die Regierung die zur Verfügung stehende Emissionsgrenze verringert, hat man den gewünschten Klimaeffekt."

Das wäre aber eine massive Operation, bei der es um Milliardenbeträge ginge. Die neue Bundesregierung müsste in Brüssel dafür eintreten, das deutsche Budget zu verringern. Dass die Regierung die Zertifikate selbst aufkauft und stilllegt, ist angesichts der Haushaltslage unwahrscheinlich. Alternativ könnte die Regierung bei den Atomverhandlungen von den Stromkonzernen verlangen, sie sollten ihre Zertifikate freiwillig löschen.

Dann wäre aber wohl der Punkt erreicht, an dem die Stromkonzerne den Ausstieg aus dem Atomausstieg dankend ablehnen.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,655684,00.html

 

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