EU-UMWELTDEBATTE: Kapitulation der Klima-Kanzlerin

Veröffentlicht am 11.12.2008 in Features

SPIEGEL ONLINE 11.12.2008

Ein Kommentar von Christian Schwägerl

Ökonomie oder Ökologie? Jetzt betet auch Angela Merkel das Mantra, dass man nicht beides haben kann, und will die Industrie vor strengem Klimaschutz bewahren. So richtet sie doppelt Unheil an: Indem sie schmutzige Industrien rettet, gefährdet sie neue "grüne" Jobs.

Hamburg/Brüssel - Klimakanzlerin, wie schön das klang. Es war das größte Lob, das Angela Merkel in ihrer bisherigen Amtszeit erfahren hatte. Doch jetzt hört sie auf die Einflüsterungen einiger Unions-Ministerpräsidenten und mancher mächtiger Dax-Bosse: Weg mit dem Klimaschutz, raunen die Lobbyisten der Industrie, es ist Wirtschaftskrise! Schluss mit dem realitätsfernen Umweltluxus! Und die Kanzlerin versprach, beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel keine strengen Auflagen beim Klimaschutz zu akzeptieren, wenn sie deutsche Arbeitsplätze gefährden. So schnell könnte die Ära der Klimakanzlerin enden - wenn Merkel in den kommenden Stunden nicht noch die Kurve kriegt. Denn mit ihrer neuen Politik von Vorgestern liegt sie gleich dreifach falsch:
  • Erstens haben Klimakrise und Finanzkrise sehr wohl miteinander zu tun. Beide sind Folgen einer zu kurzsichtigen, zu wenig nachhaltigen Wirtschaftsweise, Konsequenz eines Raubbaus am Kapital - wahlweise der Anleger oder der Ökosysteme.
  • Zweitens ist die alte, einst von Greenpeace wie vom BDI kultivierte Kampfformel, dass man zwischen Ökologie und Ökonomie wählen müsse, längst überholt: Weil Öl als Treibstoff der Weltwirtschaft knapp wird und sauberes Wasser obendrein, dreht sich der Weltmarkt der Zukunft um Energieeffizienz und intelligente Ressourcennutzung. Schon heute verdient ein Unternehmen wie Siemens ein Viertel des Umsatzes mit Umwelttechnologien. Die Frage ist nur, wer den grünen Weltmarkt dominieren wird.
  • Und drittens ist Klimaschutz keine reine Umweltfrage, sondern eine Chiffre für nationale Sicherheit: Ohne eine radikale Abkehr von fossilen Brennstoffen drohen nicht nur Flüchtlingschaos und Erntekollaps, sondern ein verschärfter Wettkampf der Wirtschaftsblöcke um das knappe Öl und eine weitere Stärkung von Petrodiktatoren und von Terroristen, die jede westliche Präsenz in Arabien und Nordafrika bekämpfen.
Angela Merkel hat es in den vergangenen Wochen nicht geschafft, die Weltkrisen der Finanzen und des Klimawandels zu deuten und in Beziehung zueinander zu setzen. Sie ist der Lobbyarbeit weniger energieintensiver Branchen aufgesessen und den Drohungen von Stromkonzernen, die beim Verbraucher längst volle CO2-Gebühren kassieren, obwohl der Staat den Unternehmen das CO2 bisher kaum in Rechnung gestellt hat. Merkels Ansage kommt einer politischen Kapitulation gleich. Natürlich muss sich die Wirtschaft massiv verändern, wenn ein Klimaschutzpaket Wirkung zeigen soll. Natürlich wird die CO2-Reduktion Arbeitsplätze zerstören und Investitionen verhindern. Das inmitten der Rezession zu sagen, kostet Mut. Aber der Klimaschutz wird, richtig betrieben, viel mehr Arbeitsplätze schaffen als zerstören, viel mehr Investitionen auslösen als hemmen. Das inmitten der Rezession zu sagen, könnte den Bürgern neue Kraft geben. Ein CO2-Aufpreis für Stahl, Zement und Kohlestrom ist verkraftbar, wenn gleichzeitig die Volkswirtschaft groß ins globale Geschäft kommt mit Nano-Materialien, die CO2 binden, Biotechnologien, die der Energiegewinnung dienen, mit Autos und Maschinen, die nur noch einen Bruchteil ihres früheren Energieverbrauchs benötigen. Das Land, das auf den Patenten für grüne Technologien sitzt, wird als Gewinner aus dieser und allen kommenden Wirtschaftskrisen hervorgehen. Strenge und verlässliche CO2-Auflagen sind der beste Anreiz für Unternehmen, diesen Weg zu gehen und Deutschland einen strategischen Vorteil für den Rest des Jahrhunderts zu sichern. Denn Deutschland ist das Land mit dem größten Potential, vom Klimaschutz zu profitieren. Nirgendwo sonst auf der Erde sind so viele hochqualifizierte und zugleich ökologisch hochmotivierte Ingenieure auf so kleinem Raum versammelt wie in Deutschland. Deutschland ist stark im Autobau, im Maschinenbau, im Kraftwerksbau - jenen Sektoren, in denen das größte Innovationspotential und das größte Geschäft steckt. Strenge Klimaschutzauflagen in der EU haben eine mehrfache Dividende: Sie verringern die Stromrechnungen und die Abhängigkeit von Energieimporten, sie bringen Amerika und Asien in Zugzwang, zu folgen. Und sie geben den innovativen Firmen etwa in Deutschland einen Startvorteil beim intelligenten Ausweg aus der globalen Wirtschaftskrise – zumal Barack Obama schon angekündigt hat, die USA zum Global Player in der Umwelttechnologie zu machen. Wenn Angela Merkel dagegen heute in Brüssel versagt, müssen die jungen Deutschen die Rechnung doppelt und dreifach bezahlen: Über kostspielige Subventionen für veraltete Branchen, über grüne Jobs, die nicht entstehen sowie über den Klimawandel, der große Schäden anrichtet. -------------------- BZ Online, 11.12.2008 Kaum Fortschritte bei Posener Weltklimakonferenz In vielen Punkten kamen die Ländervertreter in Posen nicht über die bereits auf der Klimakonferenz in Bali vereinbarten Ziele hinaus. Posen (dpa) - Die Europäische Union gerät wegen ihres Streits über das EU-Klimaschutzpaket immer mehr unter Druck. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnte auf der Weltklimakonferenz im polnischen Posen (Poznan) Europa eindringlich zum Handeln. «Wir erwarten eine Führungsrolle der Europäischen Union. Die Entscheidungen, die gerade von den Staatschefs Europas getroffen werden, haben große Konsequenzen für die gesamte Welt», sagte er zur Eröffnung der Ministerrunde in Posen mit Blick auf den EU-Gipfel in Brüssel. Dort ringt die EU um ein substanzielles Klimapaket. In Posen gab es bisher nur wenige Ergebnisse. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) warnte vor Rückschritten beim Klimaschutz. «In vielen Staaten - auch in Deutschland und der Europäischen Union - wird versucht, die aktuelle Finanzkrise als Ausrede zu missbrauchen, um sich von einem engagierten Klimaschutz zu verabschieden», sagte vor Vertretern aus rund 190 Ländern um Beginn der Ministerrunde in Posen. Zugleich verteidigte er die Hilfe für die deutsche Autobranche. «Wenn wir die Automobilindustrie unterstützen, dann nicht für die Autos von gestern, sondern für die Autos von morgen mit weit geringerem Spritverbrauch und weniger Abgasen.» Gabriel verwies am Rande der Konferenz darauf, dass die EU weiterhin international führend im Klimaschutz sei und die ehrgeizigsten Klimaschutzziele aller Ländergruppen vorgelegt habe. Er kritisierte Russland, Japan und Australien scharf, die künftige konkrete Minderungsziele der Industrieländer ablehnten. Unterdessen gab es auf Verhandlungsebene in Posen bis Donnerstag nur wenige Fortschritte. Die Delegierten vereinbarten zwar das Hauptziel der Konferenz, ein Arbeitsprogramm bis zur Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen Ende 2009, auf der ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll verabschiedet werden soll. In vielen Punkten kam Posen jedoch nicht über die bereits auf der Klimakonferenz in Bali 2007 vereinbarten Ziele heraus. Bis zur Ministerrunde war noch umstritten, wie der Fonds finanziert wird, mit dem sich arme Länder an den Klimawandel anpassen können. Ban hob in seiner Rede auf der Klimakonferenz die Rolle der USA hervor. Die Pläne der künftigen US-Regierung zu alternativen Energien und Klimaschutz seien sehr ermutigend. Die USA werden nach den Aussagen des demokratischen US-Senators John Kerry einem künftigen Klimaabkommen jedoch nur beitreten, wenn es auch Länder wie China berücksichtigt. Der UN-Generalsekretär sieht eine große Chance, die Finanzkrise und den Klimawandel gemeinsam zu lösen. Die Finanzkrise benötige hohe Investitionen, wovon ein Großteil in alternative Energien fließen solle. Dies könne Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen. «Die Finanzkrise ist ernst. Doch wenn es zum Klimawandel kommt, steht viel mehr auf dem Spiel.» Er überlege, ob er bei der nächsten UN- Vollversammlung im September eine Runde zum Klimaschutz einberufen werde. Ban lobte die Klimaschutzpläne Chinas, Dänemarks, Brasiliens und Indiens. China warnte in Posen die großen Industrieländer vor einem Nachlassen ihrer Bemühungen. «Entwickelte Länder sollten die Finanzkrise nicht als Ausrede benutzen, um ihre Verpflichtungen (...) zu umgehen», sagte Chinas Umweltminister Xie Zhenhua. Guyanas Präsident, Bharrat Jagdeo, kritisierte die EU: «Wenn Europa ein Signal sendet, dass es nur in erfolgreichen Zeiten starke Verpflichtungen eingehen kann, was sollen dann die Entwicklungsländer sagen, inklusive China?» Grünen-Fraktionsvizechefin Bärbel Höhn warf der Bundesregierung vor, beim Klimaschutz immer stärker auf die Bremse zu treten. «Die EU hat ihre Vorreiterrolle eingebüßt. Jetzt blockiert auch die EU, und das liegt mit an Deutschland», sagte sie in Posen der dpa. In einigen Regionen Deutschlands könnte es einer Klimastudie zufolge in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mehr als vier Grad wärmer werden als bisher. Die Temperaturen steigen hier am stärksten im Spätsommer und im Herbst, wobei das Frühjahr eine geringere Erwärmung als der Jahresdurchschnitt zeige. Das geht aus der Studie für ein regionales Klimamodell COSMO-CLM hervor, die am Donnerstag in Cottbus vorgestellt wurde. Wie die Wissenschaftler herausfanden, gehen die Niederschläge im Sommer künftig um etwa 30 Prozent zurück. Dieser Rückgang werde aber in fast allen Simulationen durch eine Zunahme in den übrigen Jahreszeiten kompensiert.
 

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